Honduras, Gardel, die Frauen und ich

Honduras, Gardel, die Frauen und ich

amapala-1918
Amapala, Honduras, 1918

Die Geschichte ist schon lange her, und hat bis auf eine gewisse Skurrilität nicht viel zu bieten. Aber was soll´s, ich erzähle sie trotzdem. Einfach so wie ich sie abends bei Tisch erzählen würde, wenn die Familie sich nach dem Abendbrot über die Reste der Mahlzeit hinweg die Geschichten vom Tag erzählt:

Also: Einmal saß ich in einem alten Ballsaal in Amapala und sollte geheiratet werden. Amapala ist eine Insel, die wie ein achtlos ins Meer geworfener Korken in der Bucht zwischen El Salavador, Nicaragua und Honduras schwimmt. Die Insel hatte schon bessere Tage gesehen. Damals, als sie noch der einzige Seehafen an der Pazifikküste Honduras war, stieg sie sogar mal zur Hauptstadt auf. Doch als ich dort im Hafen ankam, waren die großen Zeiten lange vorbei. An den Fassaden der kolonialen Holzbauten wehten die bunten Farbreste besserer Zeiten nur noch wie die Fetzen eines einst prächtigen Ballkleides im Wind. Menschen waren nicht zu sehen. Nur in einer Ecke saßen ein paar Fischer auf einer morschen Veranda, tranken Rum und spielten Karten.

Die Alte, die mir das Zimmer vermietete, war ebenso klein wie wortkarg. „Hospedaje?“ „Si!“ „140 Lempiras“. Mehr redeten wir während meines ganzen Aufenthaltes nicht. Gerade einmal 1,50 Meter maß die Alte. Damit war sie in etwa so hoch wie die riesigen Lautsprecher-Boxen in dem düsteren Treppenhaus mit der knarzenden Holztreppe und dem fein gedrechselten Geländer. Aus den Boxen schob schellackknisternd der Tango auf traurig-sehnsüchtigen Sohlen durchs Haus. Die Alte liebte den Tango – vor allem Gardel – von morgens sechs bis tief in die Nacht. Das Zimmer, frisch blau-türkis getüncht, ein Bett, ein Schrank und sogar ein kleiner Schreibtisch, war angenehm geräumig und sauber. Gegenüber der Eingangstür führte eine große Doppeltüre auf einen Balkon mit Blick auf den Hafen – über das Meer hinaus konnte man sogar auf die Hügel des nahen Festlandes sehen – und zwischen den Sparren des Daches pendelte eine vom Meersalz ausgeblichene Hängematte. Hier konnte man es aushalten.

Doch fürs Erste stellte ich nur meinen Rucksack ab und machte mich gleich auf den Weg in die verwinkelte kleine Stadt. Der Abend dämmerte schon und ich war hungrig von der Reise. Durch einen unscheinbaren Eingang, an dem eine schwarze Tafel mit dem Wort „Comida“ prangte, gelangte ich in einen ebenso schmalen wie langen Raum. Der Wirt hinter dem grob zusammengezimmerten Tresen grüßte freundlich und führte mich wortreich durch eine Tür im hinteren Teil. Zu meiner Überraschung verbarg sich hinter der Tür ein riesiger Ballsaal. Zumindest war er das einmal gewesen.

Und dann saß ich plötzlich da, an einem eiligst herbeigeschafften Tisch, exakt in der Mitte der leeren Tanzfläche unter einer gewaltigen Discokugel. Der einzige Gast. Gemessen an dem wild übereinander gestapelten Gerümpel auf der Bühne musste die letzte Band vor mehr als zwanzig Jahren hier zum Tanz aufgespielt haben. Die Scheiben ringsum waren fast blind und die viereckigen schwarz-weißen Fliesen des Tanzbodens mit Stroh bedeckt. Unweit meiner Füße pickten ein paar Hühner auf dem Boden nach Körnern. Ihre Köpfe zuckten rhythmisch vor und zurück, Pock de Pock de Pock, als würden sie dem stampfenden Rhythmus einer Merengue-Band folgen, die hier einst die Tanzenden in Schwingung gebracht hatte.

Dann kam der Auftritt der Töchter des Hauses. Beide so um die Zwanzig. Im besten heiratsfähigen Alter. Auf ihre Weise sogar hübsch. Man sah ihnen an, dass sie sich eiligst in ihre besten Klamotten geschmissen hatten. Während ich nun also inmitten der Tanzfläche saß und Huhn, Reis mit schwarzen Bohnen aß, schlichen die beiden wie Raubkatzen um meinen Tisch herum. Und je mehr sie schlichen, desto langsamer aß ich. Und je langsamer ich aß, desto enger schlichen sie an den Tisch. Es nutzte alles nichts, irgendwann ließ sich das Huhn nicht mehr länger zerteilen und mein Teller war leer.

Augenblicklich saßen die beiden Pomeranzen an meinem Tisch. Eins musste man ihnen lassen, sie verstanden ihr Handwerk. Die Arme so geschickt aufgestützt, dass mir die Brüste drall und fest aus dem tiefgeschnittenen Dekolletee entgegengedrückt wurden, leuchteten mich ihre tiefdunklen Augen aus und an.

Dazu muss man aber auch wissen, dass ich damals gerade durch ein sehr hartes sozialwissenschaftliches Studium voller Mädchen mit Latzhosen, lila Halstüchern und unrasierten Beinen ging. Sofort rotierte mir die Rolle der Frau im Allgemeinen und in Lateinamerika im Besonderen, Luhmann, Habermas, die Ausbeutung Lateinamerikas und ….oh mein Gott diese Brüste… durch den Kopf. Die Frauen kamen gleich zur Sache.

„Du hast schöne blonde Haare“, die Ältere der beiden lenkte das Gespräch ohne Zögern in die gewünschte Richtung.

Meine Antwort sprühte vor Eloquenz: „Äh, ja?“

„So ein Hübscher bist du. Gehst du heute Abend mit uns tanzen?“

Die Situation überforderte mich. „Äh, ja?“

„Ja?“ strahlende Gesichter

„Äh, nein!“ schnell hinterhergeschoben „Ich kann nicht!“

Zwei Schmollmünder auf einmal: „Warum nicht? Findest du uns nicht hübsch?“

„Ähm, ja doch ihr seid sehr hübsch.

Klimpernde Augen, schmeichelnde Stimme „Dann geh mit uns aus“

Zu allem Überfluss arbeitete sich just in diesem Moment ein verirrter Strahl der untergehenden Sonne durch die letzte klare Stelle der Fenster, traf auf die Diskokugel und weiße Lichtstrahlen schossen in alle Richtungen durch das Halbdunkel des alten Ballsaals. Das half mir jetzt nicht weiter, rundete meine missliche Situation aber optisch sehr schön ab. Die Mädchen kicherten und klimperten weiter mit den Augen.

Jetzt war ich ganz schön in der Bredouille. Ich war der Prinz auf dem weißen Pferd, der Ausweg nach Europa und weiß der Teufel was sonst noch. Von wegen die Rolle der Frau im Allgemeinen und in Lateinamerika im Besonderen, Luhmann, Habermas und die Ausbeutung Lateinamerikas. Ich war hier das Opfer. Ich sollte geheiratet werden. In meiner Not erkundigte ich mich nach der Toilette und flüchtete ins Herrenklo. Erstmal in Sicherheit wollte mir aber auch da keine Lösung einfallen wie ich, ohne harsch zu werden, einigermaßen anständig aus der Situation wieder herauskommen könnte. Es fiel mir schon immer schwer, Menschen zu enttäuschen.

Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Klo verbracht habe. Als ich wieder herauskam, waren die Töchter gerade dabei den Tisch abzuräumen und ich nutzte die Chance, um Fersengeld zu geben. Murmelte kurz, dass ich jetzt los müsste und machte mich schnell auf nach vorne, um die Rechnung zu begleichen. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, die bösen Blicke, die mir hinterhergeworfen wurden, trafen mich im Rücken wie kleine Brandbomben. Denn, wie ich später noch häufiger feststellen musste, wenn Latinas sauer werden, werden sie richtig sauer. Da duckt man sich lieber erstmal und wartet bis der Sturm vorübergezogen ist.

Zurück in der Hospedaje lag ich noch lange auf dem Balkon in der Hängematte und dachte nach. Über mich, die Frauen und …tja und… eigentlich mehr nicht, denn eigentlich ist das Thema ich und die Frauen reichlich Stoff zum Nachdenken. Gegenüber auf dem Festland loderten unterdessen Waldbrände durch die Nacht. Gespenstische Feuerkronen auf allen Bergkuppen. Ein schaurig-schönes Schauspiel – ganz so wie die Sache mit mir und den Frauen. Von unten drang aus den riesigen Boxen Gardel auf die Veranda. Por una Cabeza…

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