Haben Sie sich heute schon empört?

Haben Sie sich heute schon empört?

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Quelle: Catherine Faulkner

„Entschuldigung, wer sind sie?“

„Wer ich bin tut nichts zur Sache. Entscheidend ist, was ich bin!“

„Nun gut, dann also was sind sie?“

„Sieht man das nicht? Ich bin empört!“

„Ihr Gesicht ist gerötet und sie haben ein Zittern in der Stimme. Das kann auch ein Schnupfen oder eine leichte Verliebtheit sein.“

„Ich bin nicht verschnupft und verliebt war man in den 80er. Das wäre zu einfach. Ich bin regelrecht empört!“

„Aber was empört sie denn so regelrecht?“

„Das ist egal. Ich bin empört! Man ist heute einfach empört. Wer sich nicht empört, der ist nicht!“

Eine Empörung geht um. Es stampft auf quer durch die Gesellschaft. Man empört sich heutzutage. Empören gehört zum guten Ton. Haben Sie heute schon Ihr Empörerchen gemacht? Allerorten wird sich empört. Dabei meine ich noch nicht einmal die großen gesamtgesellschaftlichen Empörungswellen über zu hohe Benzinpreise, geheime Geheimdienste oder steuerlügende, drohnendebakelnde Finanzmiserenpolitiker. Nein, nein, ich meine die kleine Alltagsempörung. Die an unseren Mitmenschen geplatzte Beule der Erwartungshaltung. Das dahingekotzte Meckerstakkato, welches nahezu zwangsläufig in dem Satz „Das geht ja gaaaar nicht!“ gipfelt. Mit einem aaaa langezogen wie der ausgeleierte Gummibund einer alten Herrenunterhose. Ein Echolot der Empörung. Je länger das a, desto tiefer die Empörung.

Erst gerade eben stand unsere Nachbarin vor der Tür. Schon am Klingeln konnte man ihre Empörung hören. Ein trockenes, sehr empörtes Klingeln. Drei Mal kurz und hart. Die Nachbarin, ansonsten mit der buttergelben, leicht fettigen Gesichtsfarbe einer gut gebratenen Bratkartoffel gesegnet, war sichtlich erregt. Ihr Gesicht zierte nun eine leicht fleckige Röte, die mich kurz, aber wirklich nur sehr kurz, an ein Marzipanschwein erinnerte. „Was ich Ihnen immer schon einmal sagen wollte…“, zitterte es aus ihr heraus. Ein denkbar ungünstiger Anfang für den, der sich der Empörung gegenüber sieht. Wer immer schon mal etwas sagen wollte, der hat lange in seiner inneren Empörung gebadet. Der hat sie gehegt und gepflegt, sie in endlosen Dialogen mit sich selbst aufgeblasen, bis sie so riesig wurde, dass sie in einer gewaltigen Empörungseruption aus ihm herausplatzen muss.

Und aus der Nachbarin platzte es heraus wie aus einer zwangsläufigen Hündin. Ein nicht enden wollendender Empörungsstrom erbrach sich über mich. Leider kann ich nicht so genau sagen, was sie derart empörte. Scheinbar war aber genau das Teil der Empörung. Die Weigerung sich zu empören, ist ein Waterloo für den Empörer. Steht er doch plötzlich wie in einem weißgekachelten Raum alleine da mit seiner Empörung. Ein Empörer sucht immer Mitempörer. Sie sind der Katalysator für seine Empörung. Öffnet man unbedacht die Türe, wie ich soeben, und trifft auf eine Empörung, für die man scheinbar die Ursache ist, dann hat man gefälligst umgehend eine Gegenempörung zu starten. Gedanklich die Hände in die Hüften zu stemmen, laut auszurufen: „Also, was erlauben sie sich…“ und in gezielten Gegenattacken, die Schwachstellen des Gegenübers auszuloten. Nur so setzt sich die intendierte Empörungsspirale in Gang, deren Ende nicht selten Nachbarschaftskriege sind, die richterlicher Schlichtung bedürfen.

Nun, fehlt es mir allerdings am notwendigen Empörungspotential, oder besser gesagt, um die Braut über meine Empörungsschwelle zu tragen, ist ein Leiterwagen notwendig. So erkannte ich, nachdem ich eine Zeitlang unbeteiligt in der Empörung meiner Nachbarin gestanden hatte, dass ich eigentlich doch nicht die Ursache für diese war – ein durch ihre exzessive Aussprache begünstigtes Missverständnis meinerseits. Die Dame, deren Gesichtsfarbe mittlerweile in ein chargierendes Schlumpfblau gewechselt hatte, wollte mich auf ihrer Empörung mitfahren lassen und suchte einen Mitempörer gleicher Empörungsrichtung. Das war sicherlich nett gemeint. Gemeinsames empören schafft Nähe. Man ist nicht so alleine mit seiner Empörung. Immer wieder sieht man Gruppen, die sich zum gemeinsamen Empören treffen. Jeder erzählt ein bisschen über seine Empörung und übt sich seinerseits im empathischen Empören, bestärkt den anderen in seiner Empörung, in dem er sie mit gut gemeinter, zustimmender Empörung unterstützt. Am Ende geht jeder mit hoch erhobener Empörung gestärkt seiner Wege. Daraus sollen schon echte Empörungsfreundschaften entstanden sein, die eine besondere Innigkeit durch gemeinsames Hyperventilieren haben.

Nun muss ich ehrlich sagen, dass ich auch nicht zur Empörungsfreundschaft tauge. Zumal im Falle meiner Nachbarin – es ging um irgendetwas mit dem Nachbar zwei Häuser weiter, eine Katze und zu Tode erschreckte Kanarienvögel – die Empörungsursache in einem so hochfrequenten Bereich lag, dass sie für mich nicht mehr wahrnehmbar war. So trat nun die Situation ein, dass wir beide Auge in Auge da standen: Die Nachbarin mit der unausgesprochenen Aufforderung zur Mitempörung im Blick und ich freundlich lächelnd und ein wenig ratlos. Also sagte ich nach einer Zeit, in der ihr Blick immer auffordernder wurde, gerade noch bevor sie zu weiterer Empörung anheben konnte, freundlich lächelnd: „Aha“. Ein für sie wohl unerwartete Reaktion. Die Nachbarin empörte sich darüber mit einem empörten „hmpf“ und einer sehr schönen, in die Empörungen geschwungenen Kehrtwende auf dem Absatz. Etwas später sah ich dann, wie sie sich gemeinsam mit dem Nachbarn zwei Häuser weiter empörte. Dabei zeigten sie mehrfach in meine Richtung.

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